Da meine erste Frage zur Verbindung von Zazen und Satori augenscheinlich auf die zenbuddhistische Abneigung, Kausalitäten zu erläutern, gestoßen ist, möchte ich es andersherum probieren.
Da Zazen in den zenbuddhistischen Schulungszentren und Klöstern einen überragenden Stellenwert genießt, ist anzunehmen, daß diese Praxis eine Bedeutung besitzt, die mit dem Grundanliegen des Zen (also Selbsterkenntnis + = Welterkenntnis) zu tun hat.
Jetzt also meine Frage an Euch, die Ihr Zazen praktiziert und in Euren Grundüberzeugungen wohl auch dem Zen-Buddhismus nahesteht: Wie beeinflußt Euer Zazen Eure Wahrnehmung und Interpretation der Welt. Wie wirkt Zazen auf Euren Geist und Charakter?
Beste Grüße
Yan-shou
Bereits in der klassischen Zen-Literatur finden wir Ermahnungen von Meistern, die davor warnen, das Nicht-Denken als Vorwand zu nutzen, um als geistlose Hammel durch das Leben zu trotten. Es ist natürlich bequem, eine Diskussion mit der Wendung Wer zerdenkt hier die Wirklichkeit? abzuwürgen.
Trotzdem bleibt es dabei, daß wir sehr viele Entscheidungen mit Hilfe unseres denkenden Verstandes treffen, treffen müssen und sollten. Er muß ja nicht der einzige Ratgeber sein, aber wenn er nicht gut funktioniert, dann sieht´s insgesamt sehr schlecht aus.
Seit wann wird Nicht-Denken als Technik bzw. Prinzip im Zen eingesetzt?
Wie einige von Euch bestimmt wissen, wurde von den Chan-Meistern aller Zeiten (besonders aber von den frühen) doch sehr intensiv und ausgiebig nachgedacht. Meister Yong-jia (665-713) trat sogar für eine logische Verfahrensweise zur Erlangung der Erleuchtung ein. Auch Niu-tou Fa-yong (594-657) war ein großartiger Denker (siehe seine Darlegungen zum Prajnaparamita Sutra). Insbesondere die frühen Chan-Meister legten auf intellektuelles Wissen und philosophisches Verständnis großen Wert.
Später wandte man sich im Chan dann direkteren Methoden der Schulung und des Verstehens zu, denn (ca. 100 Jahre nach Fa-yong) war man zur Auffassung gelangt, daß ein Sprung ins Äußerste notwendig sei und pure philosophische Spekulation nicht ausreicht. Der Meister Ma-zu gilt als Begründer der unkonventionellen und antilogischen Chan-Schulung.
Meiner Meinung nach ist das Nicht-Denken-Konzept im Chan in erster Linie ein Resultat dieser frühen Entwicklung. Als man sah, daß die bis zur Erschöpfung getriebene logische Deduktion eher in Konfusion als in Klarheit endete, mußte man neue Wege beschreiten. Man befreite sich aus den Fängen der hemmungslosen metaphysischen Spekulation.
Trotzdem blieb das Denken immer ein wichtiger Bestandteil auch des Lebens der Meister. Wie hätten sie ihre Vorträge halten, ihre Schriften verfassen, das Leben in den Schulen leiten können, wenn nicht mit Hilfe des denkenden Verstandes?
Worauf kann sich das Nicht-Denken praktisch überhaupt beziehen?
Man kann es als Gegenentwurf zur westlichen Überbewertung von Ratio und Logik begreifen und einsetzen. Diese Überbewertung leugnet das Mysterium des Lebens, entwertet es gleichzeitig durch seinen unrealistischen Anspruch, alles be- und ausrechnen zu können. Verdrängung durch Rationalisierung ist ein psychisches Problem der westlichen Welt, die ihre Götter ent-thront hat, nun jedoch kein adäquates Mittel zum Umgang mit der Unendlichkeit besitzt, sondern alles wissenschaftlich erkennen will (aber nicht kann). Was nutzt schon die wissenschaftliche Erkenntnis, daß der Tod ein Absterben von Zellen ist. Wem hilft das?
Gegen diese Kälte eines (eigentlich irrationalen) Rationalismus, gegen die Entwertung des Unbekannten und gegen die Leugnung des Wunders kann man Nicht-Denken praktisch einsetzen, um einen intuitiven, intimen Kontakt mit der Wirklichkeit zu kultivieren.
Und auf der anderen Seite: Immer danach streben, das Denken zu schulen. Es schärfen, klären. Den Umgang mit der Sprache auf hohem Niveau üben. Reflektieren. Wer das versäumt, wird seine Persönlichkeit beschränken und sein Leben deformieren. Meine Meinung.