Hallo Doan!
Die hier schon öfters wiederholte Warnung, Zazen als Mittel zu einem Zweck aufzufassen - nach dem Muster: tue dies, um jenes zu erreichen - möchte ich etwas eingehender begründen, da sie für Manche (insbesondere Neulinge) wohl nicht ohne Weiteres verständlich ist.
Offensichtlich gibt es etwas, das uns daran hindert, unsere wahre Natur (von der uns versichert wird, sie sei erleuchtet) zu sehen. Im Buddhadharma nennt man dies die zehn Fesseln - mit Avidya, Unwissenheit, der zehnten Fessel, als Wurzel aller anderen.
Avidya ist Nicht-Wissen der vier edlen Wahrheiten - der achtfache Pfad ist die Methode zum Lösen dieser Fesseln und der Weg zum Wissen, zu Prajna. Restlose Überwindung von Avidya ist höchste Erleuchtung - Anuttara Samyak Sambodhi.
Ein einfacheres Modell gibt uns der Mythos der drei Töchter Maras, des 'Versuchers', die das Erwachen Buddhas zu hindern suchen: Tanha - der Durst, Raga - Verlangen und Arati - Ablehnung.
Dabei ist Tanha das Verlangen nach angenehmen sinnlichen Erfahrungen; Raga ist der Wunsch zu werden, Ziele zu erreichen, Anerkennung und Ruhm zu finden. Arati ist der Wunsch, unangenehmen Erfahrungen zu entgehen. Alle drei sind sie verschiedene Formen von Verlangen, von Durst: Kama-Tanha, Bhava-Tanha und Vibhava-Tanha. Ihr gemeinsamer Oberbegriff ist Samudaya, meist als 'Ursache des Leidens (Dukkha)' übersetzt. Nun gibt es da einen alten Streit über die 'richtige' Übersetzung von 'Dukkha', auf den ich hier nicht weiter eingehen will. Nehmen wir 'Dukkha' einfach als ein Wort, das die Qualität der 'normalen', unerleuchteten Seinserfahrung bezeichnet. Samudaya ist nicht eigentlich die Ursache dieser Erfahrung, sondern das, was mit ihr einhergeht, mit ihr verbunden ist. Ohne Samudaya kein Dukkha und umgekehrt. Im Grunde ist Samudaya Unterscheiden, Messen, Werten.
Erleuchtung/Bodhi/Satori/Kensho ist wertlos, ist nicht Anuttara Samyak Sambodhi, wenn sie Raga/Bhava-Tanha dient - etwas, das man vielleicht so manchem erleuchteten 'Meister' unterstellen könnte. Eine noch subtilere Falle ist Arati/Vibhava-Tanha - ohne Aufgabe des Wunsches nach Weltüberwindung, nach Überwindung von Dukkha, von Avidya, wird uns dieser Wunsch nicht erfüllt werden.
Freundliche Grüße,
Ralf
Du sagst, Zen sei vor allem keine Religion. Das ist in dieser Verkürzung schon 'irgendwie' richtig, aber Zen ist auch ein buddhistischer Schulungsweg. Wenn man dies ignoriert, hat man nur noch ein 'nachgemachtes' Zen, Zen-Methode. Also ein zweckentfremdetes (genauer: zum Mittel für einen Zweck gemachtes) Zen. Andere haben da sicher andere Meinungen, ich lasse sie ihnen gerne.
Die Frage, ob Religion oder nicht, hat allerdings mE mit dem Ritualismus, den Du kritisierst, nichts zu tun. Shakyamuni konnte auch kein Japanisch, genau so wenig, wie Jesus die Bergpredigt auf Latein gehalten hat. Es geht also lediglich um Traditionen - die unterliegen zwar wie alles Andere auch ständiger Veränderung, nur verändern sich Traditionen verhältnismäßig langsam. Ob der Prozess der Entwicklung einer eigenen abendländischen Tradition aus der chinesisch-japanischen heraus nun zu schnell oder zu langsam voran geht, darüber kann man streiten. Jedenfalls besteht bei einer zu schnellen Entwicklung das Risiko der Entwurzelung der Tradition. Auch hier könnte dann schlimmstenfalls nur noch ein Gerippe übrigbleiben - Methode ohne Gehalt.
Die Rituale, die 'fancy dresses and weird ceremonies', haben zunächst die Funktion einer Einstimmung und geistigen Vorbereitung. Bei fortschreitender Einübung in das Ritual findet eine Art Konditionierung statt, die die geistige Sammlung erleichtert und beschleunigt - quasi 'automatisiert'. Es ist daher auch bei häuslichem Üben empfehlenswert, gewissermassen rituell an das Sitzen heranzugehen. Mit der Zeit wird da wohl jeder Übende sein eigenes, privates Ritual entwickeln.
Darüber hinaus stellt das Ritual eine Verbindung zwischen Zazen und dem alltäglichen Handeln her. Alltägliches Handeln wird zu einer anderen Form des Rituals, das Ritual wird zu Zazen in anderer Form. Dann wirst Du feststellen, dass es immer schon das Selbe gewesen ist - alltäglicher Geist.
Freundliche Grüße,
Ralf