Geschlecht | Mann |
(übersetzt von M. Lieberknecht aus: Arthur Braverman: Living and Dying in Zazen: New York 2003)
Kôzan Katô Rôshi
Wie kann ich einen Priester beschreiben, der so rätselhaft ist wie Kato? Er ist der einzige Zen-Lehrer dieses Buches, der Rinzai-Zen übte noch dazu im strengsten Zen-Kloster der Zeit und mit nichts als Lob für die brutale Behandlung herauskam, die er erhielt. Tatsächlich lobte er so gut wie alles, jedoch nichts höher als Zazen.
Außerdem ist Katos Lehre überhaupt nicht streng. Er bringt die Leute dazu, Zazen zu üben, weil seine Liebe zur Übung ansteckt. In jedem Foto von ihm, außer denen, die ihn bei Zazen oder beim Kalligraphieren festhalten, ist sein zahnloser Mund weit offen vor Lachen. Er ist die Wiedergeburt Hoteis, des lachenden Buddha.
Ich höre mir Kassetten an, die mir Katos Sohn Taigan von seinem Vater geschickt hat, wie er bei einem Zen-Treffen im Tempel eines Schülers in Nordjapan lehrte.
Die Reise zu diesem Tempel war lang und Kato zu der Zeit neunzig Jahre alt. Katos Lehre ähnelt sicherlich nicht irgendeiner traditionellen Zen-Lehre.
Kato beginnt: Also, nun, es ist so ... seit ich mein neunzigstes Jahr erreicht habe, werde ich immer schwächer. Nach etwas mehr Gestotter fährt er fort: Meine alte Dame sagte zu mir, Gib es auf, und versuchte mich vom Kommen abzubringen. Sie sagte, Es ist wirklich gefährlich. Du kannst kaum hören und du bist ziemlich schwach geworden. Du solltest besser nicht gehen. Es wird nur damit enden, dass du allen zur Last fällst.
Dann redete er von der Freude, neunzig zu sein, wissend, dass es das letzte Jahr seines Lebens sein könnte, und er schlug vor, dass jeder zum Abschied Zazen üben solle.
Kato fühlte sich beim Lehren wirklich nicht wohl, darum kam er einfach ins Schwafeln. Aber wenn Schüler ihm am Ende des Treffens Fragen über Zazen oder Buddhismus stellten, hörte das Geschwafel auf. Er wurde scharf und klar.
Übt Zazen. Es ist nicht schwer. Zazen ist das wichtigste im Leben. Tut es jeden Tag und ihr werdet es sehen. Zazen macht man nicht nur, wenn man die Beine übereinander legt. Ihr müsst ein Zazen tun, das von eurem alltäglichen Leben nicht getrennt ist. Was ihr auch tut, verliert nicht die Gelassenheit, die ihr beim Zazen gefühlt habt. Euer tägliches Leben sollte auf der Ordnung des Zazen aufgebaut sein dem Gefühl, Körper und Geist zu regulieren. Es muss in eurem Leben funktionieren. Tut es fünf oder drei Minuten lang, aber tut es jeden Tag. Macht es euch zur Gewohnheit.
Seine Stimme ist bei dieser Tonaufnahme sanft und fröhlich. Wenn Sawaki yang war, dann war Kato yin. Es gibt einen buddhistischen Ausdruck namens Rôba-Zen oder großmütterliches Zen, der das Zen dieses Hoteis des zwanzigsten Jahrhunderts treffend beschreibt.
Aus Zazen leben
In diesem Vortrag erzählte der vierundneunzigjährige Katô einem buddhistischen Gelehrten seine Lebensgeschichte. Es wird berichtet, dieser habe heimlich ein Aufnahmegerät ins Kloster gebracht, aber das könnte auch bloß eine Erfindung sein, um das Geheimnisvolle Katôs zu steigern. [zusammengefasst]
"Ich bin in den Kurozasa-Bergen in Mikawa geboren worden. Ich verließ meine Heimatstadt, als mein Vater nach Nagoya ging, um eine Sakebrauerei zu eröffnen. Man nannte mich Sanjiro und ich war das vierte von zehn Kindern.
Das Sakegeschäft meines Vaters ging Bankrott. Als ich neun Jahre alt war, wurde eine neue Brücke in irgendeinem entfernten Ort fertig gestellt und ich wurde zur Feier mitgenommen.
Ich wurde an einem Tempel abgesetzt und verlassen. Der Tempel war vielleicht eine Meile von meinem Haus entfernt, deshalb konnte ich nicht nach Hause zurückkehren. Ich dachte, dass etwas eigenartig war, als mein Vater mir den Kopf rasieren ließ, bevor wir das Haus für die Feierlichkeiten verließen. Ich wurde ein Novize im Zen-Tempel Daieiji nördlich von Nagoya, aber nicht aufgrund einer persönlichen Entscheidung. Mein Vater täuschte mich und machte mich zum Gefangenen des Tempels.
(...)
Nachdem ich dem Tempel übergeben worden war, erlaubte man mir nur selten, zur Schule zu gehen. Stattdessen musste ich chinesische Klassiker auswendig lernen. Das war vor langer Zeit. Drei von uns eine alte Dame und zwei Novizen pflegten sich um eine Papierlaterne zu versammeln. Die alte Dame spann Baumwolle und wir beide saßen an der Seite und lernten. Wir lasen Sutren und die chinesischen Klassiker.
Die chinesischen Zeichen in ihnen waren schwierig für junge Grundschüler, aber wir schafften es, sie zu lernen. Wenn wir sie uns nicht merkten, bekamen wir einen Klaps auf den Kopf. Da wir unsere ganze Energie ins Auswendiglernen steckten, hinkten wir in unserer Fähigkeit zu vernünftigem Denken hinterher. Von der Bedeutung der Texte verstanden wir nichts; wir merkten uns einfach, wie man die Zeichen liest. Wir lernten nach dem Sprichwort Lies mechanisch hundert Mal und die Bedeutung wird sich erschließen. Nachdem wir einige Fortschritte erreicht hatten, mussten wir das Lotus-Sutra lesen. Die chinesischen Zeichen in diesem Sutra sind extrem schwierig. Es dauerte viele Jahre und war eine schmerzvolle Erfahrung, aber wir lernten es schließlich. Dieser Vorgang grenzte an Grausamkeit."
Trotz Katôs Behauptung, dass seine Fähigkeit zur logischen Argumentation hinterherhinkte, fährt er fort zu beschreiben, wie disputierfreudig er wurde. Er riet sogar dem obersten Priester des Tempels, moderne Wissenschaft zu studieren, um sich mit zeitgenössischem Denken vertraut zu machen. Gewöhnlich disputierten sie, so Katô, bis der Priester es mit seinem üblichen Hau bloß ab beendete.
Katô zog sich westlich an, sogar wenn er zu den Häusern von Gemeindemitgliedern ging, um Sutren zu lesen. Er war stolz auf seine liberalen Ideen und glaubte, mit der progressiven Entwicklung in der Religion seiner Zeit übereinzustimmen, aber nachdem er sich besonnen hatte, meinte er: Wenn ich an diese Tage zurückdenke, ist es mir so peinlich, dass ich in kalten Schweiß ausbreche.
Obwohl Katô den Tempel und seine Lehre kritisierte, lernte er vom Oberpriester und wurde emotional von ihm abhängig. Als der Oberpriester starb, brach er zusammen. Mein Geist war zerstreut, sagte er, und ich wurde körperlich krank; nachts konnte ich nicht schlafen.
Dann riet ihm ein anderer Mönch, Zazen zu üben. Kato war in seinen frühen Zwanzigern, lebte zu der Zeit in Tokio, und auf den Rat des Mönchs ging er zum Engaku-Tempel.
"Soen Shaku Roshi war unter großem Beifall aus Amerika zum Engakuji zurückgekehrt. Ich ging zum Engakuji, um Zen-Meditation unter ihm zu üben. Ich ging dort als Laie hin, nicht als Mönch. Soen hatte eine neue Art, er gab auf einem Stuhl am Tisch sitzend sanzen (Gespräche von Lehrer zu Schüler).
Ich hatte Kenshô (eine Art Erleuchtung) nachdem ich bloß eine Woche bei Soen gewesen war. Das warf meine Zen-Übung durcheinander. Ich versuchte zwei oder drei sassho (Fragen, die der Lehrer dem Schüler nach einem ersten Durchbruch mit einem Koan stellt) und konnte sie durch Nachdenken lösen. Dann begann ich zu zweifeln. Solange ich weiterhin den Lehrer traf, würde ich ein Koan nach dem anderen bestehen. Es war so einfach. Der Übung in Engakuji zufolge war es das Beste, Zazen eine kurze Zeit lang zu üben und durch all die Koan innerhalb von drei Jahren Fortschritte zu machen. Dann sollte man lernen, lernen, lernen. Warst du kein guter Schüler, bekamst du sehr wenig Aufmerksamkeit. Damit war ich nicht zufrieden. Da ich so schnell Satori (Erleuchtung) erfahren hatte, war ich nicht daran interessiert. Ich war ursprünglich ein Sôtô-Mönch gewesen und hatte buddhistische Texte gelesen. Ich hatte auch ein wenig praktiziert. Darum verstand ich mit etwas Anleitung schnell, und das Gefühl Ah! Das ist es! kam gewöhnlich sofort. Letzten Endes machte ich mithilfe des Denkens bei den Koan Fortschritte. Dies verdiente aber nicht den Namen Zen. Selbst buddhistische Texte und die Lehre zu studieren war besser als diese Art halbherziger Übung. Dies war intellektuelles Zen, und ich wollte tiefgründiger üben, darum ging ich weg."
(wird fortgesetzt)
4.2. Das Meistern der Realität
Gerade zuvor habe ich gesagt, dass jeder von uns, egal ob er oben Gesagtes nun begreift und realisiert oder nicht, ausnahmslos aus dem ganzen Selbst heraus lebt. Ich habe es wiederholt, weil es so außerordentlich bedeutsam ist und wir für gewöhnlich völlig um die Gedanken unseres kleinen individuellen Ichs kreisen und uns mit dieser kleinen Individualität identifizieren, obwohl es nicht unser wahres Selbst ist. (Bitte beachten Sie, dass ich hier die Begriffe Ich und Selbst verschieden belege.)
Vom Standpunkt der Realität des Seins aus, also jenseits unserer beschränkten Individualität, lebt das Selbst als grundlegende Wirklichkeit aus der Ungeteiltheit von allem, was lebt und existiert, aus der Verbundenheit allen Seins. Demgegenüber verlieren wir, in den Gedanken unseres beschränkten Ichs, diese Realität des ganzheitlichen Selbst vollständig aus den Augen. An dieser Stelle tritt nun durch das Loslassen der Gedanken diese Realität des Seins unverfälscht hervor und wir können unmittelbar aus ihr heraus leben (Erwachen und Erkennen sowie Ohne-Denken-Sein). Nichts anderes ist Zazen!
Hier tritt diese grundlegende Beschaffenheit durch die Zazen-Praxis erstmalig zutage. Die Grundhaltung des Mahâyâna-buddhistischen Zen ist ja auch nicht, dass durch die Zazen-Praxis ein irgendwie neu geartetes künstliches Ich hergestellt werden solle. Auch dass das Leiden sich immer mehr verdünne und schließlich total aufhöre, wird nicht anvisiert. Weiterhin stehen auch weder besondere mystische Erlebnisse noch ein Satori zu erwarten, das ein für alle Mal alles verändert und verbessert. Als wahrer Mahâyâna-Buddhismus lässt Zen bis zum Ende ausschließlich das Selbst wahrhaftig das Selbst sein. Es lässt das Sein schlichtweg wahrhaftig sein, das Leben einfach wahrhaftiges Leben sein.
Es ist, als wenn wir zwar Augen hätten, diese aber zukneifen und ausrufen würden: In dieser Welt ist es stockfinster! Dann könnte man auch nicht behaupten, dass wir wirklich die Realität des Seins lebten. Wenn wir aber unsere Augen öffnen, sehen wir das Gleißen des Sonnenlichts.
Öffnen wir nun auf gleiche Weise unsere Augen für das Leben, erkennen wir, dass wir im strahlenden Licht des Lebens leben. Wenn wir also jetzt Zazen üben, öffnet sich uns durch das Loslassen unserer Gedanken der Blick für das lebendige Sein des allumfassenden Selbst (Jinissai-jiko), das sonst durch die Gedanken unseres kleinen Ichs umwölkt und verhangen ist.
Halten wir jetzt die Realität unseres kleinen individuellen Ichs für das allumfassende Selbst und üben wir diese Realität des Seins in der Praxis (Zazen), dann handelt es sich bei der Haltung des Zazen um wahrhaftigen Buddhismus. Dieses Zazen nennt man das Zazen des Meisterns der Realität, da es die Realität des Seins des allumfassenden Selbst praktiziert.
Allerdings muss aus buddhistischer Sicht noch etwas zu dem eben erwähnten Glauben gesagt werden. Normalerweise gebrauchen wir das Wort glauben in dem Sinne, dass wir etwas für wahr und wirklich halten, das wir gehört haben. Im religiösen Kontext bezieht sich glauben im Besonderen auf übersinnliche, unsichtbare Phänomene und beschreibt die Akzeptanz von Aussagen wie (diesen oder jenen) Gott gibt es! oder der Mensch hat eine Seele, oder das Annehmen der Tatsache, dass Menschen existieren, die eine Vermittlerposition zu Gott einnehmen. Im Buddhismus hat glauben nicht diese Bedeutung. In der buddhistisch-philosophischen Schrift Abidatsuma-kusha-ron (Abhidharma-kosha-shastra, von Vasubandhu) wird folgende Definition gegeben: Glauben ist Klarheit-Reinheit. Im Buddhismus handelt es sich bei glauben also nicht darum, die Existenz eines außerhalb des Selbst liegenden Gottes oder einer individuellen Seele zu bestätigen, von der man gehört hat.
(aus: Kosho Uchiyama: "Das Leben meistern durch Zazen", Angkor Verlag 2008)
TAG FÜR TAG EIN GUTER TAG
Gute und schlechte Seiten des Lebens
Tag für Tag ein guter Tag. Auch ein dämonischer Tag, auch ein Schlangentag muss ein guter Tag für dich sein, wenn du als Mensch in dieser Welt lebst. Rolland sagte, jeder Mensch sei der Schmied seines eigenen Glücks. Trotzdem machst du ein verweintes Gesicht und klagst über dein Schicksal, über fehlendes Geld und Glück bei den Frauen. Was für eine Dummheit! Als Mensch liegt es an dir allein, dein eigenes Glück zu finden. Wenn du das nicht tust, beklag dich nicht bei den anderen.
Menschen haben die Fähigkeit zu denken. Das unterscheidet sie von anderen Lebewesen. Dass Hühner etwas zu fressen bekommen, liegt nur daran, dass die Menschen sie füttern um sie später selbst zu verspeisen. Ich werde traurig, wenn ich daran denke, wie so ein Huhn in seinen Käfig gequetscht das Leben verbringt. Wenn das Huhn nur ein bisschen weniger fressen würde, dann nähme es auch nicht so schnell zu und könnte umso länger leben. Aber das weiß es nicht und frisst und frisst und wird immer dicker. Wie gemein die Menschen doch sind. Sie rechnen sich aus, wie viele Eier das Huhn wohl noch legen wird. Tags und nachts bleibt das Licht an, damit das Huhn soviel Eier produziert wie möglich. Und wenn es ausgelegt hat, wird es verkauft, bevor es sein Fleisch verliert. Wenn es um das Le-ben des Huhns geht, kalkuliert der Mensch ganz genau, alles mit dem Ziel, Hühnerfleisch und Eier zu bekommen. Wie steht es aber mit dem Menschen selbst? Warum lebt der? Darüber musst auch du dir einmal Gedanken machen. Du musst dir über den Sinn dieses Lebens klar sein, darüber, dass es ein Glück bedeutet, als Mensch geboren worden zu sein. Was willst du aus diesem Leben machen?
(aus: Kodo Sawaki: "Tag für Tag ein guter Tag")
Ich möchte auf ZAZEN ODER DER WEG ZUM GLÜCK hinweisen, das gerade bei Rowohlt erschienen ist, das erste Buch von Muho, dem deutschen Abt des Antaiji, in dem Kodo Sawaki Roshi und Kosho Uchiyama Roshi wirkten. Muho ist gerade für ein paar Wochen auf traditionellem Bettelgang, und bis er zurück ist, können wir hier vielleicht schon ein wenig über das Buch sprechen - und seine Schale durch den Kauf etwas füllen ... Ich hab es selbst eben erst bestellt:
http://www.amazon.de/gp/product/3499622033/
Lustig ist jedenfalls, dass Dörrie gar nicht bemerkt, wie sie Espe Brown demontiert. Der hat nicht nur weniger zum Kochen zu sagen als jeder Fernsehkoch, sondern auch zum Brotbacken nicht mehr als jeder gute Bäcker. Und die stehen zuweilen noch früher auf als Zen-Mönche.