Liebe Wegbegleiter,
wiedermal ein kleiner Erlebnisbericht aus meiner Zen-Praxis:
Der Bettelgang
An einem frischen Sommermorgen machte ich mich früh auf den Weg hinunter ins Dorf. Nach einer langen Hitzeperiode hatte es sich angenehm abgekühlt und
so ging ich direkt nach dem Zazen los.
Zuviel leidvolles hatte ich in meinem Herzen angesammelt und nun kam es heraus; verschlug mir die Stimme, sodass nicht einmal mehr das Herzsutra über die
Lippen ging. Den Genmai konnte ich nicht essen - und so kam es, dass ich einfach loszog. Mit leerem Magen und leerem Geist Mu shin absichtslos -
hinaus in die Natur.
Schritt um Schritt spürte ich das Leid, welches wir Menschen der Erde antun, wir den Mitmenschen auferlegen, den Kindern, unseren Nachbarn, anderen
Völkern. Wohin auch immer wir schauen, sehen wir das Leid, sowohl im Kleinen als auch im Großen.
Nicht nur das Eltern ihren Kindern die Liebe entziehen, sie ausschimpfen, sie manchmal auch bestrafen, nein oft werden sie auch schwer misshandelt. Wir
dürfen nicht wegschauen, wenn ein Kind misshandelt wird. Es passiert oft in unserer Nachbarschaft. Und nicht selten, war der Täter selbst einmal ein Opfer.
Wir können erkennen, dass Wut auf die Attentäter des 11. September zu Krieg führt, wenn Gier, Hass und Verblendung nicht umgewandelt wird, in dem der
eigene Geist gezähmt wird.
Doch auch in der eigenen Familie muss dem Herzen Raum gegeben werden, damit es zufrieden sein kann. Hiersein und Dasein darf keinen Unterschied
machen einfach nur sein von Augenblick zu Augenblick.
Nach dem der Schmerz des Herzens abgeregnet hatte, wurde ich immer leichter und es schien als würde der große Fluß (der Inn ;-) alles davon spülen.
Auf dem Rückweg wurde mir klar, dass ich nichts zu trinken mitgenommen hatte. Die Sonne war bereits hoch aufgestiegen und brannte erbarmungslos.
Plötzlich wurde mir klar, dass ich aus meiner Wanderung auch einen Bettelgang machen könnte.
In den vielen Jahren, in denen ich mich mit Zen beschäftigte, ist mir nie der Bettelgang näher gebracht worden.
Doch Buddha war ein Bettelmönch.
Es war auch ein Bettelmönch, den Shakyamuni bei seiner vierten Ausfahrt sah und der ihn zutiefst berührte.
Diese Begegnung brachte ihn letztendlich zu dem Entschluss in die Hauslosigkeit zu gehen und selbst als Bettelmönch umherzuziehen.
In den japanischen Zen-Klöstern gehen die Mönche noch heute zum Bettelgang in die Dörfer. Und ich hörte vom Rôshi, dass in Japan nicht der Mönch,
sondern der Spender sich mit einer tiefen Verbeugung bedankt.
Ich beschloss also bei der nächsten Gelegenheit um ein Glas Wasser zu bitten. Gedacht, getan. Eine freundliche Dame, die gerade im Garten zu tun hatte,
konnte mitfühlen, wie es mir gerade in dieser sommerlichen Hitze erging. Sie holte mir aus dem Haus ein Glas Wasser und wir unterhielten uns eine Zeitlang.
Am Ende spürte ich, dass sie für das Gespräch ebenso dankbar war, wie ich für das Glas Wasser.
So dankte sie mir und ich ihr, für das Gespräch.
Frohen Herzens zog ich nun weiter, hörte das rauschen des Windes, das Plätschern des Baches, das Zwitschern der Vögel....
So sah ich an diesem Tag neben dem ganzen Leid auch die vielen Freuden, die das Leben bereit hält.
Wir müssen ihnen nur offen begegnen, ihnen achtsam Raum im Herzen geben und einfach nur Selbst Sein.
Welchen Wert hat ein Bettelgang?
Gasshô
Mario
beim lesen Deiner Zeilen, kam mir spontan der Hesse in den Sinn, nun kann ich nur hoffen, dass es auch Dir gefällt.
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
(Hermann Hesse, Stufen)
(Aus dem Roman "Das Glasperlenspiel", 1943-46)