Der Begriff "Seele" hat bereits die verschiedensten Umschreibungen erfahren - darunter u.a. die Gleichsetzung mit dem psychologischen Begriff der Psyche. Demnach ergeben Psyche und Körper im Zusammenspiel das, was wir Persönlichkeit/Ego nennen. Diese Auffassung ist m. E. auch in Asien nicht gänzlich unbekannt. Nach buddhistischer (und auch taoistischer) Auffassung ist Samsara, unsere Welt, dreigeteilt - in das Reich der Begierde/Vitalität (ching), das Reich der Form/Energie (ch'i) und das Reich der Nicht-Form/des Spirit (shen). Dies wird auch widergespiegelt im taoistischen und buddhistischen System der Chakras: Wurzel-Chakra, Nabel-Chakra (Begierde/Vitalität) - Herz-Chakra, Hals-Chakra, Brauen-Chakra (Form/Energie) - Stirn-Chakra, Kronen-Chakra (Nicht-Form/Spirit). Psyche würde in diesem System am ehesten dem Reich der Nicht-Form/des Spirit entsprechen.
Während man im Westen die psychische Erkrankung kennt, spricht man in der chinesischen Medizin von einem Ungleichgewicht in den Chakras. Beides sind gleichermaßen berechtigte, über die Jahrhunderte gewachsene Konzeptionen jeweiliger Kulturräume. Entscheidend bei all dem ist die bereits in diesem Forum genannte Feststellung, dass Psyche/Spirit und der Körper im Wechselspiel stehen und nicht voneinander unabhängig sind. Dem wird in der spirituellen Praxis Rechnung getragen. Der Buddhist etwa begegnet den drei samsarischen Reichen Begierde, Form und Nicht-Form mit Disziplin (shila), Meditation (dhyana) und Weisheit (prajna). Meditation über den Atem findet z.B. im Reich der Form statt.
Vielleicht hört sich all das nach weiteren unnötigen Theorien an. Sollten Bankeis "Ungeborener Geist", Huang-pos "Einer Geist" und Meister Eckeharts "unsterbliche Seele" (offenbar nicht die Psyche) sich nicht einfach in unserem Alltag offenbaren?
Doch genau das scheint mir der Hintergrund bei spiritueller Praxis zu sein. Ob Disziplin, Meditation und Weisheit, Abgeschiedenheit (Eckehart), Beten und in der Bibel lesen oder welche Tätigkeit auch immer, es sind offenbar alles nur andere Namen für die "Alltäglichkeit" des Namenlosen.
KM