Stell dir vor, dir ist großes Unglück widerfahren. Du spürst, du bist sterbenskrank. Morgens erwachst du und spürst es, daß du sterben wirst. Abends gehst du zu Bett und fürchtest, am mogren nicht mehr zu erwachen.
Es ist morgend und du erwachst. Durch dein Fenster dringen Vogelstimmen, im Glas spiegelt sich das Gün der Blätter vom Baum auf dem Hof.
Du stehst auf und spürst es, daß du sterben wirst. Dein Körper ertrinkt im Elend, grau ist dir vor Augen. Jede Zelle atmet den Tod. Mit letzter Kraft stehst du auf und ziehst durch die Straßen dieser Stadt, gehst in den Park, triffst Menschen. Und spürst es so deutlich.
Nach Hause gekommen, brichst du zusammen vor Trauer, brichst zusammen vor Schmerz. Du verlierst es. Dein Leben. Was wirst du mit ihm verlieren? Nicht mehr erreichen wirst du, was du erreichen wolltest. Nicht mehr erhalten wirst du, was du erhalten wolltest. Nicht mehr tun können wirst du, was du tun wolltest. Das ist, was du verlierst. Und brichst zusammen in Tränen und schreist vor Schmerz, schreist laut, sehr laut. Es ist dunkel geworden, zu Bett gehst du nun. Noch bevor deine Augen sich schließen, noch bevor dein Bewußtsein erlahmt, noch bevor dein Atem erlischt da durchschaust du es. Und durchschaust all dein Streben, durchschaust all dein Streben.
Wie blind bist du dem Ziele gefolgt. So unwissend bist du gewesen und hast den Kreis nicht erkannt, in dem du dich bewegtest. Und du siehst, daß dein Streben nicht recht war, siehst, daß es nur zu Unglück führte, dich auf falsche Wege lenkte, weit weit weg von der Wahrheit.Du siehst, daß du die Wahrheit nicht wahr haben wolltest. Und du siehst, daß die Wahrheit so klar ist.
Du schläfst ein, sachte treibst du hinfort.Schläfst tief und lang und fest.
Als du aufwachst, spürst du, daß du sterben wirst. In deinem Körper wohnt der graue Tod, in jeder Zelle lauert er und drängt sich in dein Bewußtsein, in jeder Pore fühlst du das graue Elend.
Du stehst auf mit letzter Kraft und ziehst durch die Straßen dieser Stadt, gehst in den Park, triffst Menschen. Als du nach Hause kommst, brichst du zusammen vor Trauer. Dein Leben. Du gehst und nimmst mit dir so vieles. Nicht mehr wirst du sehen können das Leben deiner Familie, nicht den Kampf ums Überleben deines Freundes. Nicht mehr wird du die eine oder andere Hand reichen können in der Not, nicht das rechte Wort sagen zur rechten Zeit, nicht mehr dasein für die Einsamen.
Es ist dunkel geworden und du legst dich zu Bett. In deinem Herzen liegt eine weite Traurigkeit. Und der Wunsch, das Leben der anderen begleiten zu können.
Du schläfst ein, sachte treibt dich der Schlaf hinfort. Und du schläfst tief und lang und fest.
Es weckt dich Vogelgesang. Im Fensterglas spiegelt sich das Grün der Blätter vom Baum gegenüber. Die Sonne strahlt da draußen, der Himmel ist tiefblau. Du erwachst und merkst, daß du in diesem Moment noch lebst. Du lebst und fragst dich: Wieviele Momente wird es noch geben? Die Tränen der vergangenen Tage haben dein Herz freigespült. Nun sagt es dir sehr klar: Es gibt keine Zukunft. Nichts mehr zu tun, nichts mehr zu erreichen. Nichs mehr zu sagen. Es gibt keine Zukunft. Nur diesen Moment, nur diesen einen ewigen Moment. Und dein Herz füllt sich mit Freude, füllt sich mit Leichtigkeit. Du stehst auf, gehst durch die Straßen dieser Stadt, in den Park. Triffst Menschen. Und spürst tiefes Mitgefühl. Denn sie haben nicht erkannt, was du erkanntest. Sie sahen nicht, was du sahest. Kein Wort vermag jemals, es ihnen mitzuteilen. Du schenkst zwei Ohren. Du schenkst zwei Augen. Du schenkst dein Herz. Du schenkst Worte und Mitfühlen. Du schenkst. In deinem Herz ist Freude, Mitfühlen aber auch Leid. Doch jedes Leid, das in dir erwacht, ist nur ein Moment, der wieder vergeht. Nur ein Teil dieses Lebens, und du verstehst.