- Zen im Westen - leicht missverstanden? - Zen im Verhältnis zu Psychologie und Psychoanalyse. - Zen, Kommerz und Macht. - Erleuchtung garantiert? - Den eigenen Weg finden mit dem Herzen.

Zen im Westen - leicht missverstanden?
Zen im Verhältnis zu Psychologie und Psychoanalyse.


Zen.de: Besonders als Zen-Neuling neigt man dazu, das Wesen des Zen verstandesmäßig begreifen und erklären zu wollen, bevor man sich darauf einlässt. Wie schätzen Sie die Annäherungen der westlichen Geisteswelt an Zen ein, und wie verhalten sich etwa Psychoanalyse und Zen zueinander?

W. Heidenreich: Zen ist ein religiöser Weg, die Grundlage einer spirituellen Praxis. Zu diesem Weg gehört beispielsweise die Beschäftigung mit den Lehren des Buddhismus, die Zufluchtnahme, die Gelöbnisse oder auch das "Einssein" mit allen Lebewesen, Karma-Lehre und Wiedergeburt. Nicht zu vergessen die sogenannten Paramitas, die Tugenden, die von den Zen-Praktizierenden verwirklicht werden sollten. Zu diesen Paramitas gehören beispielsweise Gebefreudigkeit, Mitgefühl usw. Letztlich eine Praxis, die unser ganzes Leben und Handeln durchdringt. Zen ist in seiner Tiefe nur zu verstehen, wenn wir es als eine religiöse Praxis betrachten, als einen Weg der Befreiung von unseren Täuschungen, Illusionen und Anhaftungen und der Überwindung von Geburt und Tod.

Die Psychotherapie verstehe ich, wie ihr Name sagt, als eine Therapie, die eingesetzt wird, wenn eine Krankheit oder ein seelisches Problem vorliegt. Das muß nicht weit weg vom Zen sein, denn auch dieser Weg wird oft erst aus Leidensdruck eingeschlagen. Aber die Therapie, auch wenn sie den Menschen in seiner Ganzheit sieht und vielleicht auch seine spirituelle Seite mit berücksichtigt, bleibt beschränkt, auf ein spezielles Ziel ausgerichtet, nämlich Heilung eines Problems oder einer Krankheit zu bewirken. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genug von den ständig anwachsenden Therapieformen, um detailliert Unterschiede und Übereinstimmungen feststellen zu können. Ich kann also nur etwas vom Grundsatz her sagen, und der ist eben verschieden. Die meisten Therapien kommen aus der modernen Wissenschaft, werden an Universitäten von Professoren für Studenten gelehrt, die sich nicht als spirituelle Schüler verstehen, sondern als angehende Therapeuten mit einer wissenschaftlichen, vom Staat anerkannten Lehre. Die Studenten werden in erster Linie über den Intellekt geschult und bleiben mit ihrer eigenen Persönlichkeit außen vor.


Ganz anders der Weg des Zen, der die "Lehren" für den Anfänger anfänglich zurückstellt und die Konfrontation mit der eigenen Person verlangt. In der "Ausbildung" des Zen-Schülers steht ausschließlich der Schüler bzw. sein Geist als Lernobjekt im Mittelpunkt. Hat der Schüler den Weg zu seinem "wahren Selbst" eingeschlagen und Fortschritte gemacht, was üblicherweise viele Jahre, oft Jahrzehnte dauert, kann er Lehrer werden und andere Menschen anleiten. Ein Studium der Psychologie dauert dagegen 4-6 Jahre, manche Therapien nehmen für ihre Ausbildung nur wenige Wochenenden in Anspruch, und der Schüler gilt dann als fertig ausgebildet! Mittlerweile gibt es eine Menge von Therapeuten, die beide Wege gegangen sind und die deshalb in dieser Frage eine besondere Stellung einnehmen, denn ihnen traue ich eine Verbindung von Zen und Psychotherapie zu.


Ich möchte noch einen inhaltlichen Unterschied ansprechen, der mir bei einigen psychoanalytischen Schulen aufgefallen ist. Dort werden Geisteszustände wie Gefühle z.B. als eine Art Energiepotential angesehen, das in uns, verbunden mit traumatischen Erlebnissen, gespeichert ist. Wenn wir dann das traumatische Erlebnis nacherleben und die damit aufsteigenden Gefühle ausagieren, erleben wir Befreiung. Das wird im Buddhismus anders gesehen. Es geht im Buddhismus, also auch im Zen, um Kontemplation und Transformation. Agiere ich meine Gefühle aus, bekomme ich ein karmisches Problem und verstoße eventuell gegen meine Praxis von Mitgefühl. Das Thema ließe sich vertiefen, würde aber unseren Rahmen sprengen.


Wie gesagt, in den letzten Jahren sind einige Therapeuten, die auch Zen praktizieren, dabei, diese Wege zu verbinden. Ich persönlich halte es für möglich, dass die spirituelle Praxis, die Lehre des Zen, eine wichtige Hilfe für Therapeuten sein kann. Mein Lehrer Thich Nhat Hanh betont immer wieder, wie wichtig es ist, dass der Therapeut selber Klarheit über seine Geisteszustände hat. Denn sonst kann er anderen nicht helfen.


Der Buddhismus und damit auch Zen ist populär im Westen. Er nimmt Einfluss auf unsere Wissenschaft, von der er, wenn ich richtig informiert bin, als sehr modern angesehen wird und bei einigen berühmten Wissenschaftlern auf grosses Interesse gestoßen ist. Das gleiche gilt für die Kunst, die Philosophie, das Christentum und auch für unseren Alltag. Überall gibt es Begegnungen mit dem Buddhismus. Doch das wirkliche Verstehen kommt erst erst allmählich in Gang, weil das Wissen über die Grundlagen des Buddhismus im allgemeinen noch immer sehr lückenhaft ist. Es ist schwer für Menschen des Westens den Buddhismus wirklich zu verstehen, weil sein Weltbild sich stark von dem unsrigen unterscheidet, wenn wir beispielsweise die Karma-Lehren, die Wiedergeburtslehre, das "Nicht-Selbst" oder das Nirwana betrachten. In seiner Philosophie hat der Buddhismus immer eine metaphysische Ebene, die wir in unserer Philosophie in den letzten Jahrhunderten ganz ausgeschaltet haben. Das macht den Dialog schwer und bringt immer wieder Mißverständnisse oder anders gesagt Unverständnis mit sich.


Zen, Kommerz und Macht


Zen.de: Zen und Kommerz - wie lässt sich das vereinbaren? Die Tradition des Zen entspringt doch eher einer asketischeren Einstellung in klösterlicher Umgebung. Entspricht es der Geisteshaltung, dass ein 'seriöser' Zen-Meister durch seine eigene Schule womöglich reich und wohlhabend wird?

W. Heidenreich: Schon zu Buddhas Zeiten waren die großen Förderer des Buddha sehr reich und stellten ihm und seiner Gemeinschaft üppige Ländereien und Häuser zur Verfügung. Der Buddha und sein Orden konnten nur leben, weil es eine Infrastruktur bzw. eine Kultur der Spenden gab. Diese Situation haben wir im Westen in dieser Weise nicht.

Der Lebensstandard der Nonnen und Mönche war immer je nach Land, Kultur, ökonomischer Entwicklung und der Stellung des Buddhismus unterschiedlich. Es gab und gibt immer wieder buddhistische Schulen, die aufgrund ihrer Stellung im Land sehr reich wurden. Man braucht sich nur die vergoldeten, riesigen buddhistischen Klosteranlagen in einigen ansonsten armen Ländern anzuschauen. Und auch heute, im noch kommunistischen China, werden mit viel Spendengeldern sehr große Tempelanlagen aufwändig und kostspielig restauriert. Wenn man heute in China oder Thailand Klosteranlagen besichtigt, sieht man, dass es dem Buddhismus finanziell nicht schlecht geht.


Der Buddhismus war allerdings auch nie ein Weg der reinen Askese, dies wurde abgelehnt, sondern ein "Mittlerer Weg" zwischen den Extremen. Es geht darum, vernünftig und gesund zu leben, nicht zu üppig und nicht zu karg. Was das im konkreten Fall heißt muss stets neu definiert werden. Allerdings erscheinen die alten Urvorschriften, die auch heute noch von einigen Klöstern in Asien und sogar in Europa praktiziert werden, aus unserer heutigen Sicht wie eine strenge Askese.


Letztlich reiht sich das Thema ein in die Frage, wie verhalte ich mich als Zen-Praktizierender (und natürlich besonders als Zen-Lehrer), wie verfolge ich den Edlen Achtfachen Pfad, und wie lebe ich mit den Silas und den Gelübden. Ich glaube, das kann man von außen gar nicht so einfach festmachen. Der eine kann im großen Reichtum sehr schlicht und einfach leben, und der andere haftet an seinem Reichtum und kommt so nicht zu einer tieferen Praxis. Es geht um die Anhaftung und innere Einstellung. Bin ich frei oder an meinen Besitz gefesselt?


Wir importieren den Buddhismus aus Asien, der dort mit seiner 2.500 Jahren alten Geschichte Verkrustungen aufweist und, wie gesagt, in manchen Ländern sehr reich ist, was der Praxis der Mitglieder anscheinend nicht immer gut tut. Wir können das konkret in Korea verfolgen, wo sich Mönche, die der Gewaltlosigkeit verpflichtet sind, im wahrsten Sinne des Wortes die Köpfe einschlagen wollen und von der Polizei daran gehindert werden müssen. Wir haben heute eine Gesellschaft der Ökonomie, alles wird mit Geld geregelt. Wir haben in Deutschland keine so ausgeprägte Spendenkultur für religiöse Gemeinschaften, zumindest nicht für buddhistische, sondern unterstützen über die Kirchensteuer. Dadurch ist die Finanzierung von spirituellen Lehrern nicht im Bewusstsein der Menschen. Deshalb ist es notwendig, dass Lehrer sich auch um Geldeinkünfte kümmern, und wenn sie auch noch davon leben wollen, müssen sie sehen, dass sie ausreichende Geldmengen zur Verfügung haben. Wenn ich mir die Gruppen anschaue, die ich kenne, kann ich nicht sagen, die sind zu reich. Eher im Gegenteil, vielen Gruppen wünschte ich mehr finanzielle Mittel, damit sie ihre Arbeit im größeren Stil fortsetzen könnten. Wenn ein Lehrer anfängt, zu sehr dem Geld nachzulaufen, werden seine Schüler irgendwann ohnehin sagen: "Jetzt dreht er durch".


Ich sehe also auf der finanziellen Ebene bei den deutschen Buddhisten nicht so eine Gefahr. Wenn es Widersprüche geben sollte, dann eher in der Frage von Macht und Einfluss, was gerade in Deutschland mit seinem Hang zu Vereinen ausgeprägt sein kann.


Macht, die für manche Menschen verlockender sein kann als Geld, kann unsere Praxis schwächen. In buddhistischen Gruppen entstehen Funktionen und Hierarchien, die das Gefühl vermitteln: "Ich bin wichtig, ich stehe dem Meister besonders nah, ich bin bereits autorisiert, habe alle möglichen Titel wie Orden auf meiner Brust, ich bestimme, wo es langgeht. Darin sehe ich die größere Herausforderung und mögliche Verführung. Wenn ein Lehrer mehrere tausend Schüler um sich schart, und das ist heute durchaus üblich, entstehen zwangsläufig verschiedene Führungsebenen mit verschiedenen Machtbefugnissen und unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zum Lehrer. Darin sehe ich eine Gefahr für die persönliche Praxis der einzelnen Schüler. Es entstehen Rivalitäten, Druck und Machtkämpfe können ausbrechen, der Einzelne denkt mehr über seine Stellung in der Gruppe als über seine Praxis nach.


Erleuchtung garantiert?
Den eigenen Weg finden mit dem Herzen


Zen.de: Meister Taisen Deshimaru hat auf die Frage "Haben Sie Erleuchtung?" einmal geantwortet: "Ich weiß es nicht. Wenn man jemanden fragt: 'Sind Sie ein guter Mensch?', und er antwortet mit Ja, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass er nicht so gut ist, wie er vorgibt, sonst wäre seine Antwort bescheidener ausgefallen." Ist somit Skepsis angebracht, wenn sich jemand als "erleuchtet" bezeichnet?

W. Heidenreich: Diese Erleuchtungserfahrung an sich heißt gar nicht viel. Sie geht meist schnell wieder vorbei, und wir sind danach die gleichen Menschen wie vorher. Nur: Wir haben diese Erfahrung gemacht, wir wissen, dass das, was da immer als Ziel vor uns lag, Realität ist, dass wir es erkennen können. Wenn ein Schüler sagt, "Ich habe Erleuchtung erlangt", antwortet ihm meist der Meister: "Wunderbar, setz Dich hin, und meditiere weiter." Meiner Meinung darf man von seiner Erfahrung sprechen, es ist auch gar nichts so Ungewöhnliches, wenn ich unter Erleuchtung nicht gleich den Eintritt ins Nirwana verstehe. Lehrer müssen nicht unbedingt eine Erleuchtungserfahrung gemacht haben. Sie haben einen klaren Weg, und den gehen sie selbst, haben ihn verstanden und vermitteln diesen anderen. Natürlich ist es von Vorteil, einen Lehrer zu finden, der Erleuchtungserfahrungen gemacht hat, der weiß, wovon er spricht, aber diese Erfahrung bleibt im Hintergrund.

Zen.de: Sowohl im Zen als auch im gesamten anderen Bereich des Buddhismus gibt es eine Vielzahl von Strömungen und Schulen. Wie findet ein zen-interessierter Neuling die Gruppe, die ihm am meisten zusagt?

W. Heidenreich: Der Buddhismus ist tatsächlich sehr breit, was ihn reich, aber auch unübersichtlich macht. Es gibt viele Schulen - und zum Teil doch sehr verschiedene Methoden. Ich kann keinen pauschalen Rat für die Suche geben. Ich denke, es ist ein guter Schritt, sich auf einen Weg bzw. eine Schule einzulassen und dieser für einige Zeit zu folgen.

Ich habe erlebt, dass ich mich, unabhängig davon, ob der Lehrer gut für mich war oder nicht, in erster Linie mit mir selbst zu beschäftigen hatte. Die Praxis besteht darin, den Geist zur Ruhe kommen zu lassen, die Ego-Illusion, die eigenen Muster zu durchschauen. Das ist eine Praxis, die sich mit mir selbst beschäftigt. Die Gruppe ist der Rahmen und die Unterstützung besonders für die Disziplin und das Durchhalten. Mit der Zeit tritt ein Prozess ein, während dem ich viel über mich selbst lerne. Ich werde feststellen, ob mir die Gruppe und auch der Leiter oder Lehrer noch genügend Hilfe geben können oder ob ich mich nach einer anderen Gruppe umsehe. Ich war jedenfalls am Anfang dankbar, dass es eine Gruppe gab, die regelmäßig meditierte und zu der ich hinkommen durfte. Mir haben die Gruppe, das regelmäßige Sitzen und die vielen Kontakte sehr geholfen.


Seinen persönlichen Lehrer, das ist meine Erfahrung, den kann man sich eh nicht über den Kopf aussuchen, den findet man über das Herz. Es ist selten ein bewusstes Aussuchen, es geschieht eher zufällig. Für sehr wichtig halte ich, und das ist auch das Konzept des StadtRaums, dass man andere Wege nicht ausgrenzt oder verurteilt. Im Zen gilt das "Nicht-Urteilen", was auch über andere spirituelle Wege oder Schulen gelten sollte. Vielleicht sitze ich in einigen Jahren bei genau den Leuten, die mir heute noch sehr fremd oder gar komisch vorkommen? Ich habe das von einigen Menschen erfahren, die sich nach Jahren der Praxis in Schulen oder auf religiösen Wegen wiedergefunden haben, die sie vorher komplett abgelehnt hatten. Zu sagen: "Das ist nicht Zen, und das ist Zen", ist unnötiges Urteilen über andere. Das Beschäftigen mit den anderen lenkt uns auch zu sehr ab von unserer eigenen Praxis. Man sollte wirklich bei sich selber bleiben und sagen: "Das ist mein Weg, darauf lasse ich mich jetzt ein. Was in 2, 3 oder 5 Jahren ist, weiß ich nicht!


Zen.de: Herr Heidenreich, vielen herzlichen Dank für dieses Gespräch.
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